
Boomende Kurierdienste – neue Risikoaspekte in der Firmenlogistik
July 13, 2023
Von Victor Enzler
Senior Underwriter Marine Switzerland bei AXA XL
Zusammen mit den lokalen Postorganisationen buhlen immer mehr Kurierdienste um ihre Kundschaft mit dem Versprechen, Güter möglichst rasch und kostengünstig von A nach B zu befördern. Die Rede ist von internationalen Kurier-, Express- und Paketdiensten (KEP). Auch in der Firmenlogistik hat sich deren Bedeutung seit dem Covid-19 Ausbruch verstärkt – ohne Kuriere wären noch viel mehr Güter nicht ausgeliefert worden. Nicht nur für die Firmenkunden der Kurierdienste, sondern auch für die Warentransportversicherer bedeutet dies eine neue Risikosituation.
Kurierdienste haben ihre Wurzeln in den frühen 1980er Jahren. Seither wächst der Sektor in vielen Ländern rascher als das Bruttosozialprodukt und hilft mit, die Effizienz von B2B und B2C Lieferketten zu steigern. Längst werden nicht mehr nur medizinisches Material, dringend benötigte Ersatzteile oder Dokumente auf diesem Weg verschickt, sondern jegliche terminkritische Güter.
Durch Covid-19 und den Russland/Ukraine Konflikt haben sich die Kapazitätsprobleme, Personal- und Lieferengpässe einhergehend mit hohen Energieaufwendungen bekanntermaßen zugespitzt. In der Folge sind die Beförderungskosten stark angestiegen, insbesondere beim stark vom Straßen- und Lufttransport abhängigen Warenverkehr. Paradoxerweise florieren gerade KEP mit unglaublich niedrigen Frachtraten und auch deshalb beobachten wir eine teilweise Verlagerung von traditioneller, sogenannter ‘normaler Spedition’ auf Kurier- und Expressdienste.
Firmenkunden profitieren von hohen Frachtkapazitäten der KEP
Die Kurierdienste füllen also die Lücke, die durch Covid-19 und Russland/Ukraine bedingte Kapazitätsprobleme auf gewissen Luft-/Land-/See-Routen zu unliebsamen Unzuverlässigkeiten geführt haben. Sie sind allerdings auf große Volumina im Straßen- und Lufttransport angewiesen, um sicherzustellen, dass teuer eingekaufte (oder selber betriebene) Frachtkapazitäten auch genützt werden. Deshalb profitieren zunehmend auch Firmenkunden von diesem Überangebot und den folgenden Vorteilen:
- KEP bietet die Möglichkeit, kleinere Mengen dringend benötigter Güter rasch und günstig zur Verfügung zu haben.
- Viele spezialisierte Anbieter: Sie haben die Wahl zwischen einer Vielzahl von Produkten, die von kleinen, lokal/regional spezialisierten Dienstleistern angeboten werden, bis hin zu einigen großen, global verankerten und multimodal operierenden Kurierdiensten wie FedEx (inkl. TNT), DHL, UPS, DPD usw.
- Konkurrenz belebt das Geschäft: Sie haben einfachen Zugang zur Dienstleistung über Internet.
- Großkunden können Rahmenverträge mit Vorzugskonditionen abschließen. Diese wollen unter Preisgabe spezifischer Geschäftsdaten und abhängig von Kontraktdauer, Transportvolumen, Treibstoff-, Währungs- und anderen Einschränkungen gut verhandelt sein; einige Tipps zu Servicequalität und Sicherheit weiter unten.
- KEP sind längst nicht mehr auf den Versand wichtiger Dokumente und Kleinpakete beschränkt. Zunehmend werden auch große, sperrige und wertvolle Güter befördert. Einige Anbieter akzeptieren bis 1'000 kg Maximalgewicht, andere 50-70 kg.
Trends und neue Aspekte fürs Risikomanagement
Damit die Branche bei jährlichem 25% Wachstum trotzdem kostendeckend operieren kann, muss sie wie eingangs erwähnt große Volumina generieren. KEP sind primär von hohen Quantitäten und Kosteneffizienz getrieben. Für Firmenkunden und Endverbraucher gilt, sich beim Transport von kleinen bis mittelgroßen Paketen nicht in eine Abhängigkeit zu begeben und eine gute Balance zwischen verschiedenen KEP und traditionellen «Nicht-KEP» Anbietern zu finden. Angesichts der stetig wachsenden Schadenfrequenz und -kosten bedeutet dies für die Firmenkunden der Kurierdienste eine neue Risikosituation:
- Unregelmäßigkeiten und Troubleshooting nehmen zu. Je mehr Umladungen und Zwischenlagerungen an lokalen, regionalen und kontinentalen Verteilzentren, desto mehr Beschädigungen. Das Tracking bei Lieferverzögerungen wird schwieriger und die Kategorie Verluste ist für die Versicherer besorgniserregend, was sich in höheren Versicherungsprämien und Selbstbehalten widerspiegeln kann.
- Dem Argument «Der Versicherer kann ja auf den Kurierdienst regressieren» begegnen wir regelmäßig. In aller Regel funktioniert das nicht. Angesichts im Vergleich zu herkömmlicher Güterspedition sehr niedriger und unübersichtlicher Haftungslimiten sind Rückgriffe auf KEP Dienstleister wenig lohnend.
- Falls ein Regressverzicht vereinbart wurde (Waiver of Subrogation), um den Frachtführer in seiner Haftung zu entlasten und so eine günstigere Frachtrate zu erhalten, ist ein Regress nur bei schwer nachweisbarer Grobfahrlässigkeit oder Absicht möglich.
- Chronischer Personalmangel: Der Mangel an qualifizierten Vertragsfahrer:innen und Lagerpersonal ist national und international akut. Pro Mitarbeitende müssen immer mehr Kolli verarbeitet werden, um rasch und vor allem kostengünstig zu operieren. Das Personal steht somit unter hohem Zeit- und Leistungsdruck, was die Fehleranfälligkeit wiederum erhöht.
- Sicherheitsvorkehrungen: Einige Kurierdienste legen Maximallimiten pro Versandstück in der Größenordnung CHF 25'000 bis 50'000 fest. Nur, in der Praxis nimmt man es mit der Sicherheit nicht immer so genau, und so sind Versicherungsfälle mit hohen Paketwerten, ohne zuschlagspflichtige Wertdeklaration und ohne spezielle Sicherheitsvorkehrungen leider keine Seltenheit mehr.
- Bei großen Werten bieten Kurierdienste Wertdeklaration / Shipping Insurance o.ä. an, was allerdings mit signifikantem Aufpreis verbunden ist. Erkundigen Sie sich frühzeitig, um mit dem Anbieter eventuell spezielle Vereinbarungen zu treffen. Ohne besondere Vorkehrungen ist KEP für hochwertige Sendungen nicht geeignet.
- Umweltaspekte: Lange Umwege und damit verbundener Extraverbrauch an Treibstoff und IT Ressourcen sind keine Seltenheit. Bitte beachten: Gemäß Vorschrift der Kurierdienste muss die Verpackung neu sein, obwohl vor allem Innenverpackungen teils schwer reziklierbar sind. Konsultieren Sie dazu Ihren KEP Anbieter.
Risikominderung – Empfehlungen und nützliche Praxistipps für den Umgang mit KEP
Jeder Betrieb muss für sich einschätzen, welche Auswirkungen die beschriebenen Vor- und Nachteile auf die eigene Geschäftstätigkeit haben, um die Ressourcen rund um Vertrieb und Logistik entsprechend zu planen. Um Ihnen und Ihren Geschäftspartnern jedoch maximalen Risiko-Benefit zu ermöglichen, haben wir ein paar nützliche, praxisnahe Tipps für den Umgang mit KEP zusammengestellt:
- Ungeachtet der Incoterms, stellen Sie gemeinsam mit Ihrem Geschäftspartner adäquate Innen- und Außenverpackung sicher, die den vielen Umschlägen und langen Transportwegen standhält, selbst wenn das mehr Gewicht, Volumen und höhere Frachtkosten bedeutet. Bei empfindlichen Gütern die Verpackung auf einen Zeitpuffer auslegen, damit die (beispielsweise temperaturempfindliche) Ware selbst bei Lieferverzögerung in einwandfreiem Zustand bleibt. Je nach Warenart eine neutrale Verpackung erwägen, um das Diebstahlrisiko zu reduzieren. Bitte beim Thema Verpackung wie oben beschrieben auch Umweltaspekte berücksichtigen.
- Die Sicherheitsvorkehrungen optimieren: Fragen und instruieren Sie Ihre Geschäftspartner und Transporteure zu deren Richtlinien für Sicherheit und Schadenverhütung. Je wertvoller die Sendung, desto strenger die Maßnahmen zur Vermeidung von Verlust oder Beschädigung. Zusätzlich sollten mit dem Frachtführer vermehrt Wertdeklaration (aka Declared Value oder Parcel Protection) oder zumindest höhere Haftungslimiten vereinbart werden.
- Falls der Kurierdienst bereits eine Transportversicherung automatisch einschließt, fordern Sie den Schadenbetrag rasch beim Kurierdienst ein. Sie können dabei auf Unterstützung Ihres Warentransportversicherers zählen, obwohl er in der Regel für solche Schäden nur subsidiär bzw. nur für den die Haftung übersteigenden Schadenbetrag in der Verantwortung steht.
- Den vollen Warenwert offenlegen; nicht nur hinsichtlich Compliance wie etwa Zoll und Steuern relevant, sondern auch für Versicherungs- und Regressfälle.
- Da Ihre Güter nicht selten durch die Hände von Drittparteien gehen, sollten Sie keine Subunternehmer (vor allem bei Straßentransporten) ohne Ihre vorherige Prüfung akzeptieren.
- Für die Warentransportversicherung gilt es, folgende Parameter festzulegen:
- Adäquate Selbstbeteiligung und Sublimite pro Versandstück zur Reduktion von Frequenzschäden.
- Maximallimite pro Transportmittel und Ort (Kumul). Wir erinnern uns an das «NotPetya» Computervirus, das globale Kurierdienste wegen verlorener Versand- und Trackingdaten hunderte von Millionen kostete.
- Versicherung von Tür zu Tür, einhergehend mit kongruenten Incoterms.
- Vorsicht bei Regressverzicht. Machen Sie zusammen mit Ihrem Transportversicherer eine Kosten- / Nutzenanalyse, um Frachtersparnisse, künftige Schadensummen, entgangene Regresse und höheres Arbeitsvolumen realistisch einzuschätzen.
- Ihr Entscheid über die optimale Versandart sollte auch mit dem Versicherungsvertrag kongruent sein. Wir empfehlen eine klare Abgrenzung von KEP vs. normale Spedition, um im Schadenfall Missverständnissen und Unterdeckungen vorzubeugen.
- Egal ob und wie versichert, Kontrolle bei Abholungen und Auslieferungen gegen Unterschrift und möglichst mit Videoüberwachung (Aufbewahrungder Aufnahmen möglichst über mehrere Monate). Bitte Prozess regelmäßig überprüfen.
- Wenn sich die Verhandlungen mit dem KEP Dienstleister schwierig gestalten oder Sie schlechte Schadenerfahrungen machen: Erwägen Sie Ihrer Firma und Ihren Kunden zuliebe, den KEP Anbieter zu wechseln.
Allen KEP Produkten ist gemeinsam, dass sie auf viele Kundinnen und Kunden und große Paketmengen ausgerichtet sind. Deshalb ist vieles standardisiert und dieser Trend dürfte sich in Zukunft noch verstärken. Denn trotz fortschreitendem Deglobalisierungstrend aufgrund von häufigeren Export- und Importsanktionen stehen die Zeichen für KEP Anbieter weiterhin auf starkem Wachstum, und demzufolge auf (zumindest) proportionalem Wachstum der Schäden.
Falls ein individueller Kurierdienst überdurchschnittlich wenige Schäden hat und aus früheren Schadenfällen gelernt hat, wird er Ihnen sicherlich gerne berichten. Deshalb ist es wichtig, Fragen zu stellen und nötigenfalls Einfluss zu nehmen, gerade im aktuellen Käufermarkt. Suchen Sie diesbezüglich auch das Gespräch mit Ihrem Versicherer. Als Transportversicherer verfügen wir über ein weltweites Netzwerk von spezialisierten Risikoexpertinnen und -experten. Ein aktives Risikomanagement kann nicht zuletzt auch positive Auswirkungen auf die Versicherungsprämien haben.
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